Zum Inhalt springen

Eckpunktepapier

Im System der beruflichen Ausbildung in Deutschland sind insbesondere junge Menschen mit familiärer Verantwortung bislang kaum vorgesehen: Mangelnde Kinderbetreuung, skeptische Betriebe, überforderte Berufsschulen und das traditionelle Leitbild der familienzentrierten „Mutter und Hausfrau“ bestimmen den Alltag. Dabei ist eine qualifizierte Berufsausbildung die wichtigste Voraussetzung für eine eigenständige Lebensperspektive und Sicherung des Familienunterhalts. Seit Mitte der 1990er Jahre existieren eine Reihe von Initiativen und Modellprojekten, die schulische und berufliche Ausbildungsmöglichkeiten für junge Mütter (und Väter) in zeitmodifizierter Form erproben und evaluieren. Die Ziele dieser Projekte sind mittlerweile von bundesweiten Entscheidungsgremien aufgegriffen worden.

Nachdem im März 2001 mit dem „Eckwertepapier des Bund-Länder-Ausschusses zur Reform der beruflichen Bildung“ bereits eine tageszeitliche oder kalendarische Verkürzung der dualen Ausbildung bei der im Übrigen unveränderten Regelausbildung mit Empfehlungscharakter für die Kammern vorgeschlagen wurde, erhielt die Teilzeitberufsausbildung nunmehr mit der Novellierung des Berufsbildungsgesetzes mit Wirkung vom 01.04.2005 eine gesetzliche Grundlage. Auch der wissenschaftliche Beirat für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat in einem eigenen Gutachten das Thema der bisher strukturell erschwerten Vereinbarkeit von Ausbildung und Elternschaft aufgegriffen und eine Reihe politischer Handlungs-empfehlungen an die Akteure des Berufsbildungssystems formuliert (www.bmfsfj.de).

Damit sind entscheidende politische Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von qualifizierter Ausbildung und Kinderbetreuung geschaffen, die bereits in einer Reihe von Modellprojekten zur Ausbildung junger Mütter erprobt und erfolgreich durchgeführt wurden (bspw. JAMBA in Hessen, BEAT in NRW und MOSAIK in Bremen). Seit 2001 werden in unterschiedlichen Bundesländern und Städten (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Bremen und Berlin, aber auch in Bayern und Thüringen) auf Initiative von Bildungsträgern, kommunalen Gleichstellungsbe-auftragten und den Beauftragten für Chancengleichheit (BCA) sowie Berufsberatungen der Agenturen für Arbeit Teilzeitberufsausbildungsangebote für junge Mütter entwickelt und durchgeführt.

Zum fachlichen Austausch wurde in NRW im Jahre 2003 auf Initiative von RE/init e.V. das „Netzwerk Teilzeitberufsausbildung“ gegründet, dem sich auch Projekte und Begleitforschungen aus Bremen, Brandenburg und Bayern angeschlossen haben. Drei Projekte werden aus dem Programm „Kompetenzen fördern“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BQF-Programm) unterstützt.

 

Zentrale Themen des gemeinsamen Austausches sind:

Finanzierungsmodelle für Teilzeitausbildung
Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen: sozialpädagogische Begleitung und qualitativ hochwertige sowie flexible Kinderbetreuung
Gewinnung, Beratung und Unterstützung von Betrieben
Zusammenarbeit mit Kammern
Soziale und individuelle Problemlagen junger Mütter

 

Im gemeinsamen Austausch wurden Benchmarking und Best Practice Modelle für Teilzeitberufsausbildung entwickelt. Die Erfahrungen wurden in die jeweiligen lokalen Kontexte sowie überregionalen politischen Gremien und Programmebenen zurück gemeldet, so u.a. an das BQF, die „Bremer Förderkette junge Mütter“ (MOSAIK), die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbeauftragter NRW, dem Nürnberger Projekt zur Armutsprävention Alleinerziehender (DJI) und den regionalen Verbund der BCA in Nordrhein-Westfalen.

Neben vielen positiven Erfahrungen (erfolgreiche Berufsabschlüsse und Berufsein-mündungen junger Mütter (u.a. eine Landessiegerin mit Teilzeitausbildung), lokale und überregionale Kooperationen) können folgende zentrale Probleme benannt werden:

 

1. Rechtliche Regelungen und Differenzierung des Ausbildungssystems

2. Heterogenität der Kammerentscheidungen

3. Gewinnung von Betrieben für Teilzeitberufsausbildung

4. Unterstützung der Betriebe

5. Übergänge von Schule in Ausbildung

6. Lebensunterhalt der Auszubildenden

7. Ausreichendes Kinderbetreuungsangebot

8. Sicherung der sozialpädagogischen Begleitung

9. Kooperationen, Förderketten, Netzwerke und lokale Bündnisse

 

Hieraus hat das Netzwerk Teilzeitberufsausbildung Eckpunkte formuliert, die zur erfolg-reichen Teilzeitberufsausbildung für junge Mütter und Väter unerlässlich sind.

 

Zu 1. Rechtliche Regelungen und Differenzierung des Ausbildungssystems

Mit der Reform des neuen Berufsbildungsgesetzes vom 27. Januar 2005 (gültig seit 1.4.2005) konnte bereits die rechtliche Unsicherheit in Bezug auf Teilzeitberufsausbildung entschärft werden. BBiG 2. Teil § 8 Abs. 1 und 3 regeln:

(1) Abkürzung und Verlängerung der Ausbildungszeit „(…) bei berechtigtem Interesse kann sich der Antrag auch auf die Verkürzung der täglichen und wöchentlichen Ausbildungszeit richten. (Teilzeitberufsausbildung)“

(3) „Für die Entscheidung über die Verkürzung oder die Verlängerung der Ausbildungszeit kann der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung Richtlinien erlassen“.

Neben der Teilzeitberufsausbildung ermöglicht das Berufsbildungsgesetz weitere Möglichkeiten der Flexibilisierung und Durchlässigkeit des Berufsbildungssystems, die jungen Müttern mit Kindern entgegenkommen. Hierzu gehören neue inhaltliche und zeitliche Kombinationen betrieblich-schulischer Ausbildungskooperationen, Implemen-tierung von Ausbildungsverbünden, Anerkennung von Vor- und Zusatzqualifikationen sowie Qualifizierungsbausteinen, Einrichtung von Stufenausbildungen sowie Integration der Berufsausbildungsvorbereitung in das Berufsbildungsgesetz.

Das Netzwerk begrüßt diese Gesetzesänderung und empfiehlt eine rasche Informations- und Aufklärungskampagne für Kammern, Betriebe, Arbeitsagenturen und Bildungsträger. Die Umsetzung von Teilzeitberufsausbildung für junge Menschen mit Kindern ist darüber hinaus durch bundesweite und regionale Entscheidungsgremien (wie im Pakt für Ausbildung) und Förderprogramme voranzutreiben. Um die neuen Gestaltungsspielräume wirksam in das System der Berufsausbildung zu implementieren und neue Kooperationen und Ausbildungsmodelle (wie Module, Qualifizierungsbausteine, Ausbildungsverbünde) zu initiieren, sind neue Konzepte sowie Aushandlungen vor Ort voranzutreiben.

Grundsätzlich sollte eine Teilzeitberufsausbildung auch in regulärer Ausbildungszeit ermöglicht werden. Verlängerungen sollten nur in begründeten Ausnahmefällen eingetragen werden, da eine Wiederholung im Falle des Nichtbestehens der Prüfung immer noch möglich ist. Stattdessen sollte die Teilnahme an berufsvorbereitenden Maßnahmen angerechnet werden.

 

Zu 2. Heterogenität der Kammerentscheidungen

Mit der gesetzlichen Neuregelung im BBiG § 8 ist die Heterogenität der Kammer-entscheidung zur Ausgestaltung der Ausbildungsverträge noch nicht aufgehoben. Die Erfahrungen des Netzwerks zeigen, dass Informationen über Teilzeitberufsausbildung noch längst nicht alle Kammern und KammermitarbeiterInnen erreicht haben. Probleme gibt es auch beim Wechsel von AnsprechpartnerInnen und hinsichtlich der Zusammen-arbeit, die von den jeweils zuständigen Personen innerhalb der Kammern abhängt.

So kommt es, dass zwischen den Kammern sowie sogar innerhalb der Kammern keine verbindlichen Regelungen zur Eintragung eines Teilzeitberufsausbildungs-Vertrages existieren. Die Eintragung ist vielmehr abhängig von individuellen Entscheidungen einzelner KammermitarbeiterInnen, die jeweils ausgehandelt werden müssen. Die Ein-tragungen werden dadurch für die Träger und die Kammern sehr zeit- und beratungs-intensiv. Fraglich ist, ob potenzielle Auszubildende und/oder Betriebe diesen Aufwand selbständig betreiben können.

Das Netzwerk Teilzeitberufsausbildung regt daher an, grundsätzliche Regelungen für die Eintragung von Teilzeitberufsausbildungsverträgen zu treffen, um die Entscheidungspraxis einheitlicher und nachvollziehbarer zu gestalten. Ferner strebt das Netzwerk eine intensivere Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen sowie eine Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Ausbildungsstellen für die Teilzeitberufsausbildung an.

 

Zu 3. Gewinnung von Betrieben für Teilzeitberufsausbildung

Positive Erfahrungen hinsichtlich der Rekrutierung von Betrieben haben viele Mitglieder des Netzwerks mit Vorbereitungslehrgängen gemacht. Für Praktika, Vorbereitung und Ausbildung in Teilzeit konnten vor allem kleine und mittlere Unternehmen gewonnen werden. Allerdings zeigt sich bislang, dass Großbetriebe ihrer sozialen Verantwortung in Bezug auf die Ausbildung junger Mütter kaum nachkommen.

Auch in Gesprächen des Netzwerks mit diversen VertreterInnen von Großbetrieben konnten keine zufrieden stellenden Fortschritte erreicht werden. Angesichts der demografischen Entwicklung und des prognostizierten Fachkräftemangels liegt es u.E. im Interesse der Betriebe im Sinne des Diversity Managements das Potenzial von Menschen mit Familienpflichten einzubeziehen.

Das Netzwerk regt daher an diese Bedarfe in die regionalen und überregionalen Bündnisse für Arbeit und Ausbildung aufzunehmen und entsprechende Empfehlungen an Betriebe, Verbände und zuständige Stellen zu formulieren. Ebenso empfiehlt das Netzwerk, die Bündnisse für Familie auch für Vereinbarkeitsmodelle während der Ausbildung zu nutzen und in Auditierungsverfahren einzubeziehen.

 

Zu 4. Unterstützung der Betriebe

Betriebe, die sich entschließen, eine Auszubildende in Teilzeit zu beschäftigen und auszubilden, übernehmen eine wichtige soziale Verantwortung und haben erhöhte Kosten durch Informations- und Koordinierungsbedarf, ggf. Ausfälle der Auszubildenden bei Krankheiten des Kindes. Die Evaluation der Teilzeitausbildungsprojekte belegen, dass neben der sozialpädagogischen Begleitung und der pädagogisch-didaktischen Unterstützung durch die Berufsschule finanzielle Anreize für die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe und das Gelingen der Ausbildung förderlich sind.

Das Netzwerk fordert daher, eine angemessene Aufwandsentschädigung zu ermöglichen, um Anreize für Betriebe zu schaffen. Darüber hinaus benötigen Betriebe personelle Unterstützung für sozialpädagogische Begleitung sowie Beratungs-, Informations- und Koordinierungsbedarf. Hierzu ist die Intensivierung der Lernortkooperation zwischen Betrieben, Schulen und Bildungsträgern vor Ort durch geeignete Initiativen zu fördern.

 

Zu 5. Übergänge von Schule in Ausbildung

Eine entscheidende Statuspassage bildet der Übergang von der Schule in die Ausbildung. Hier haben Schülerinnen und Schüler – insbesondere junge Mütter – mit negativen und brüchigen Schulerfahrungen besondere Schwierigkeiten. Um die notwenige Ausbildungs-reife zu erlangen und Bildungsdefizite auszugleichen, sind individuell abgestimmte sowie methodisch-didaktisch zugeschnittene und sozialpädagogisch begleitete Maßnahmen der Berufsorientierung und Berufsvorbereitung wichtige Voraussetzungen für den Einstieg in eine Ausbildung.

Im neuen Fachkonzept für berufsvorbereitende Maßnahmen der Agentur für Arbeit wurden zwar mit dem Einstieg über die Eignungsanalyse, der Möglichkeit zum Erwerb von Qualifizierungsbausteinen auf der Grundlage von anerkannten Ausbildungsberufen, der stärkeren Ausrichtung an betrieblichen Erfordernissen und Nutzung betrieblicher Lernmöglichkeiten sowie mit der Einführung einer Bildungsbegleitung neue Ansätze zur Individualisierung der Bildungsangebote verankert, die eine passgenaue Förderung von jungen Menschen unter 25 Jahren vorsehen.

Zielgenaue Konzepte für junge Mütter und Angebote der Berufsvorbereitung in zeitmodifizierter Form sind bislang allerdings nicht vorgesehen. Gerade junge Mütter, die im Rahmen ihrer Erziehungsarbeit längere Zeit aus Schule und Ausbildung ausgestiegen sind, brauchen wohnortnahe und niedrigschwellige Angebote.

Das Netzwerk begrüßt die Bestrebungen in der Benachteiligtenförderung, bereits in der Schule die Orientierung auf Ausbildung zu verstärken und fordert die Bereitstellung ausreichender und geeigneter Berufsvorbereitungsmaßnahmen für junge Mütter mit modifizierten Zeitstrukturen. Qualifizierungsbausteine, Profiling und Assessmentverfahren in der Berufsvorbereitung sollten neben der Orientierung auf qualifizierte Ausbildungsberufe auch alltags- und lebensweltliche Kompetenzen berücksichtigen, die die Lebensrealität von Menschen mit Erziehungsverantwortung positiv und pädagogisch-didaktisch aufbereitet einbeziehen.

Dazu bedarf es einer geschlechtersensiblen Qualifizierung und Weiterbildung des Fachpersonals. Hierfür sollten Fortbildungen in modularisierter Form angeboten sowie ausreichende personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Auch Berufsbildende Schulen sollten Teilzeitberufsausbildungen ermöglichen und unterstützen. Des Weiteren fordert das Netzwerk, Berufsvorbereitung in Teilzeit in das Neue Fachkonzept der Bundesagentur für Arbeit aufzunehmen.

 

Zu 6. Finanzierung der Auszubildenden

Alleinerziehende Mütter zählen bundesweit zu dem Personenkreis, der am häufigsten von Armut betroffen ist. Kinder werden zum Armutsrisiko, insbesondere wenn Ausbildungs- und Erwerbschancen nicht genutzt werden können. Es sind v.a. bildungsferne junge Frauen, die in der Perspektive Muttersein eine Chance auf einen gesellschaftlich akzeptablen Ort suchen und sich gleichzeitig damit in eine sozial prekäre Lage bringen. Entscheidend ist, dass Armut nicht ausschließlich auf materielle Bedingungen bezogen ist, sondern Gesundheitsrisiken birgt und massiv verminderte Bildungschancen beinhaltet. Belegt ist die Gefahr der generationalen Wiederholung früher Mutterschaft und Verfestigung von „Sozialhilfekarrieren“.

Die familienbezogene finanzielle Förderung durch Erziehungsgeld und Kindergeld sorgt in den ersten zwei bis drei Lebensjahren des Kindes für eine ausreichende Sicherung. Die mangelnde Ausbildung führt jedoch dann dazu, dass junge Mütter nur prekäre Beschäftigungsmöglichkeiten haben. Um sie möglichst frühzeitig in eigenständige Erwerbsperspektiven einzubinden, müssen für junge Mütter auch finanzielle Anreize geschaffen werden.

Mit der gesetzlichen Neuregelung der Grundsicherung für erwerbsfähige Sozialhilfe-Bezieher/innen haben sich die Finanzierungsmöglichkeiten für berufliche Vollausbildungen für Empfängerinnen von Sozialhilfe (neu: Arbeitslosengeld II) verschlechtert. In einer ähnlichen Grauzone wie nach § 7, Abs. 5, Satz 2 SGB II besteht diese Möglichkeit weiter nur im Härtefall – jedoch nur in Darlehensform, nicht mehr als Beihilfe. Damit werden die wenigen Möglichkeiten zur Finanzierung beruflicher Ausbildung für junge Mütter, aber auch für allein Erziehende als Berufsrückkehrerinnen ohne (am Arbeitsmarkt verwertbaren) beruflichen Abschluss weiter eingeengt, zu denen bisher die freie Förderung nach § 10 SGB III zählte.

Die bestehenden Ausbildungsprojekte für allein Erziehende sind für ihre Finanzierung auf komplizierte Mischfinanzierungen angewiesen. Während der Lebensunterhalt häufig über Sozialhilfe – Hilfe zum Lebensunterhalt – abgedeckt wurde, waren die trägerbezogenen Ausbildungskosten für Lehrkräfte, Stützunterricht, sozialpädagogische Begleitung, Praktikums- und Ausbildungsplatzakquisition häufig aus ESF-Mitteln, z. T. aber auch aus Landesmitteln, eher selten durch die Arbeitsagenturen, aufzubringen.

Das Netzwerk schlägt vor, die Finanzierung der Auszubildenden möglichst aus einer Hand zu gestalten und so ausreichend auszustatten, dass die Teilnehmerinnen eine Planungssicherheit bekommen. Ausgeschlossen werden sollte, dass junge Mütter durch Ausbildung unter das Existenzminimum fallen. Garantiert werden sollte eine zeitnahe Bewilligung der Geldleistungen. Für die Sicherung bestehender Projekte, erst recht für ihre Weiterentwicklung und quantitative Ausweitung – z.B. in weitere Regionen und in weitere Ausbildungsgänge – besteht ein hoher förderpolitischer Koordinierungsbedarf.

Die damit verbundenen Koordinations- und Entwicklungsaufgaben benötigen auf regionaler bzw. kommunaler Ebene eine institutionelle Anbindung. Dazu muss in Absprache zwischen kommunalen Entscheidungsträgern und Jugendämtern (Jugend-berufshilfe), Arbeitsgemeinschaften bzw. Arbeitsagenturen und den Landesstellen, die EU-Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsprogramme betreuen, ein expliziter Arbeitsauftrag formuliert werden.

 

Zu 7. Ausreichendes Kinderbetreuungsangebot

Ohne ein ausreichendes Angebot an qualifizierter Kinderbetreuung können junge Eltern keine Berufsausbildung absolvieren. Hier wirkt sich zum einen die mangelnde Ausstattung an Angeboten für unter Dreijährige besonders fatal aus, denn je länger die Lücken in der Ausbildungsbiografie, desto schwerer gelingt es, Anschluss zu finden und nicht auf die „Scheinlösung“ weiterer Kinder zur Sicherung des Lebensunterhaltes zurück zu greifen. Zum anderen erfordern die sozialen und psychosozialen Risiken junger Mutterschaft professionelle und qualitativ hochwertige Kinderbetreuungsangebote, die frühkindliche Bildung mit flexiblen Betreuungszeiten verbinden. Die Projekterfahrungen belegen, dass die Integration der Kinderbetreuung in wohnortnahe Regelangebote gegenüber besonderen maßnahmeintegrierten Ansätzen bevorzugt wird.

So lernen die Teilnehmerinnen in den vorhandenen Strukturen zu agieren und den Status der Normalität für sich und ihre Kinder aufzubauen. Zur Stärkung der nicht selten vorhandenen problematischen Mutter-Kind-Bindung sind zudem Angebote der Frühförderung und Frühberatung bereit zu stellen. Skeptisch zu beurteilen ist die Ausweitung von Tagesmutter-Betreuung, da junge Mütter diese Form der Tagesbetreuung eher ablehnen und die Kinder eine professionelle Betreuung benötigen. Nach dem SGB II haben Kommunen und Arbeitsagentur einen bisher so nicht formulierten Auftrag, der den Zugang zum Arbeitsmarkt durch Bereitstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten unterstützt.

Das Netzwerk fordert daher: Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungsangebote für unter Dreijährige mit flexiblen Zeitstrukturen sowie kostengerechte Angebote auch für Notfälle (Krankheit eines Kindes). Zur kurzfristigen Bereitstellung von Betreuungsplätzen sind Organisationsformen und Netzwerke zu initiieren, die es in entsprechend leistungsfähiger Form bisher erst in wenigen Kommunen gibt (wie z.B. Vereinbarungen zwischen Arbeitsgemeinschaften und den Trägern von Kindertagesstätten, bei Bedarf auch kurzfristig einzelne Kinder zusätzlich aufzunehmen). Die Träger sollten ihre Flexibilität zur Entwicklung solcher Angebote auch durch die Nutzung von zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II erhöhen, wie sie im Ideenpapier der Bundesagentur vom Oktober 2004 skizziert werden.

 

Zu 8. Sicherung der sozialpädagogischen Begleitung

Die Erfahrungen der Mitglieder des Netzwerks zeigen, dass junge Menschen mit Kindern in einer Berufsausbildung Unterstützung bei der Alltagsgestaltung und im Zeitmanagement benötigen. Nicht selten haben junge Mütter schwierige Beziehungskonflikte in ihren Herkunftsfamilien und brüchige Schulbiografien. Die frühe Schwangerschaft ist oft nicht Ursache sondern Folge der komplexen Problemlagen. Ihre Konflikte lösen sie damit jedoch nicht, im Gegenteil: sie verstärken sich eher. Eine Berufsausbildung eröffnet dagegen eine nachhaltige Perspektive für ein eigenständiges Leben und Existenzsicherung. Ohne eine kontinuierliche sozialpädagogische Betreuung lässt sich dieser Weg jedoch meist nicht gehen, ein/e verlässliche Ansprechpartner/in ist entscheidend.

Bildungsbegleitung und sozialpädagogische Begleitung sollten personell nicht getrennt sein. Darüber hinaus besteht Bedarf an Lehrkräften zum Nachholen schulischer Defizite.

Das Netzwerk sieht Bedarf an kontinuierlicher, ausreichender und bedarfsgerechter sozialpädagogischer Betreuung. Zur weiteren Unterstützung der Ausbildung regt das Netzwerk Ausbildungspatenschaften und Mentoringprogramme an.

 

Zu 9. Kooperationen, Förderketten, Netzwerke und lokale Bündnisse

Die Umsetzung und Implementierung einer bedarfsgerechten Teilzeitberufsausbildung, d.h. einer massiv ausgeweiteten Bereitstellung von Teilzeitausbildungsplätzen im dualen System, können nicht nur einzelne Träger oder informelle Netzwerke leisten. Eröffnen Modellprojekte meist gute Arbeitsbedingungen, hat sich der Bereich der Regelförderung in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert. Gerade neue Modelle erfordern jedoch einen erhöhten Bedarf der Kooperation und Kommunikation. Ebenso besteht ein hoher Overheadbedarf durch die vielfältigen Koordinierungsaufgaben, die durch die Zielgruppe der jungen Mütter bedingt sind: Teilzeitberufsausbildung erfordert Kommunikation mit Kammern, Betrieben, Kinderbetreuungseinrichtungen, sozialpädagogischen Ausbildungs-begleiterInnen, Lehrkräften der Berufsschulen und des Stützunterrichts, Programm-evaluatorInnen, kollegialem Austausch und Informationsnachfragen anderer Träger.

Für eine nachhaltige Perspektive ist es unerlässlich, dass Aktionsbündnisse und Netzwerke – unter Beteiligung kommunaler Entscheidungsträger, aber auch von (Regie) Stellen auf Landesebene, die für die Abwicklung von EU-finanzierten Arbeitsmarkt- und Qualifizierungsprogrammen zuständig sind, der Agentur für Arbeit und Arbeits-gemeinschaft (Arge), der Akteure im Bereich der Berufsbildung für diesen Ausbildungstyp – Ziele formulieren und ein regional bezogenes Stufenprogramm Schritt für Schritt entwickeln und umsetzen. Ein Modell für den Aufbau einer prozessorientierten Kooperation ist die im Rahmen des Projekts MOSAIK initiierte „Bremer Förderkette Junge Mütter“ und die hierfür aufgebaute Kooperations- und Transferstelle. (http://www.familienbildung.uni-bremen.de/veranstaltungen/friese/MOSAIK_INFO_01.pdf).

Das Netzwerk empfiehlt, zur Integration von Teilzeitberufsausbildung in die Regelstruktur eine Vernetzung und Anbindung auf der Entscheidungsebene im System der kommunalen Sozialpolitik sowie der berufsbildenden Netzwerke voranzutreiben. Hierzu sind institutionelle Knotenpunkte wie z.B. Koordinierungs- oder Kooperationsstellen ein-zurichten. Um eine Teilzeitberufsausbildung durch Netzwerkarbeit und Kontaktpflege zu verstetigen und hinsichtlich der Qualitätssicherung und Integration in den Arbeitsmarkt nachhaltig zu gestalten, muss Kontinuität gewährleistet werden.

Dieses wird erschwert durch die neue Ausschreibungspraxis, die einen erhöhten Mehraufwand, Unsicherheiten für Träger sowie kurze Vertragsläufe/Förderzeiten mit sich bringt. Die Träger benötigen Planungssicherheit etwa durch mehrjährige Verträge.

Diese Eckpunkte basieren auf der wissenschaftlichen Auswertung der Erfahrungen des Netzwerks durch das Forschungsprojekt MOSAIK, Universität Bremen, und der gemeinsamen Diskussion. Ziel ist es, auch jungen Menschen mit Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Die Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie muss selbstverständlich werden, wenn kinderfreundliche Lebensbedingungen und Chancengleichheit angestrebt werden. In diesem Sinne ist die Eröffnung von Teilzeitberufsausbildung auch ein wesentlicher Beitrag zum Gender Mainstreaming. Für die hier entwickelten konzeptionellen Vorschläge und Forderungen können die Erfahrungen des Netzwerks genutzt werden.

Recklinghausen, 10. Juni 2005

 

ABV Braunschweig/Magdeburg e.V., Frau Klamann und Frau Przybylski

Agentur für Arbeit Bielefeld, Frau Arensmann

Agentur für Arbeit Gelsenkirchen, Frau Fink

Agentur für Arbeit Bochum, Frau Freitagsmüller

Agentur für Arbeit Essen, Frau Grüger

Agentur für Arbeit Detmold, Frau Jeuthner

Agentur für Arbeit Wesel, Frau Naß

Agentur für Arbeit Recklinghausen, Frau Schöllhorn

Agentur für Arbeit Bonn, Frau Schubert-Sarellas

Agentur für Arbeit Oberhausen, Frau Steinhoff und Frau Steinmann

Agentur für Arbeit Münster, Frau Waltke

Berufsbildungsstätte Geldern, Frau Kempken

DGB-Bildungswerk-NRW e.V. (a+l.l+e.), Herr Bley

Deutsches Jugendinstitut, Abteilung Familie und Familienpolitik, Herr Erler und Frau Sterzing

ESTA-Bildungswerk e.V., Frau Stepputat, Frau Drilling, Frau Potthoff-Edler und Frau Schäfers

Forum Berufsbildung e.V., Frau Höhl

GEBA mbH, Frau Velthaus, Frau Witt, und Frau Schoepker

JobCenter Essen, Frau Ufermann

Jugendberufshilfe Essen e.V., Frau Matyjaszczyk und Frau Routhier

Kommunalstelle Frau und Wirtschaft der Stadt Gelsenkirchen, Frau Carlitscheck

RE/init e. V., Herr Specht, Frau Hachmann und Frau Murano

Regionalstelle Frau und Beruf, Mittleres Ruhrgebiet Bochum, Frau Knütter und Frau Hammerich

Regionalstelle Frau und Beruf Bielefeld, Frau Kruse und Frau Stücken-Viernau

Regionalstelle Frau und Beruf jobservice gmbh, Frau Reif und Frau Terschüren

Regionalstelle Frau und Beruf Recklinghausen, Frau Kress

Universität Bremen, Fachbereich 11, Forschungsprojekt MOSAIK, Frau Prof. Dr. Friese, Frau Dr. Thiessen und Frau Anslinger

 

<< zurück